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G. F. Händel: Der Messias, Konzertprogramm 2003




Musik in der
Alten Nikolaikirche am Römerberg
in Frankfurt am Main


 




Georg Friedrich Händel


Der Messias




Programmheft
Gestaltung: Horst Christoph Diehl
(Internet-Fassung)



Lina von Schauroth: Fenster Auferstehung
Foto: © Kurt Gramer, Bietigheim-Bissingen

Lina von Schauroth: Auferstehung
Alte Nikolaikirche, Fenster der Westseite
(für eine Privatkapelle offenbar in den 1920er Jahren entstanden)

 

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Mittwoch, 2. April 2003
Generalprobe

Donnerstag, 3. April 2003
Konzert

20.00 - 22.00 Uhr



GEORG FRIEDRICH HÄNDEL
1685-1759


DER MESSIAS

Komponiert 1741 in London, Uraufführung 13.4.1742 in Dublin
Text
Bibelworte, zusammengestellt von Charles Jennnes
Deutsche Fassung der Edition Peters
Friedrich Chrysander, Georg Gottfried Gervinus, Max Seiffert (1902)
Arnold Schering und Kurt Soldan (1939)



Kalliopi Patrona, Sopran

Sebastien Stengel, Altus

Daniel Sans, Tenor

Markus Flaig, Baß


Barock-Orchester Le Goût Étranger
auf historischen Instrumenten

Tromba
Paolo Bacchin und Thomas Lowe

Pauken
Harald Buchta

Oboe
Jeanine Krause und Susanne Kohnen

Violine I
Katrin Ebert, Ildiko Hadhazy und Zsuzsana Hodasz

Violine II
Johannes Heim und Claudia Drechsler

Viola
Simon Heim

Violoncello
Roswitha Bruggaier

Violone
Martina Degen

Cembalo
Harald Hoeren


Heinrich-Schütz-Kantorei Frankfurt/M.


Leitung: Horst Christoph Diehl


 



Wir bedanken uns sehr bei Kurt Gramer. Die Fotos auf den Seiten 1, 11 und 15 der Internet-Fassung des Programmheftes sind ein Beitrag von ihm.

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Anmerkungen von Horst Christoph Diehl

Anlaß unserer Aufführung
    Händels Messias, weltweit beliebtestes Oratori-
um, war für Horst Christoph Diehl als Nachkriegs-
Neunjährigen das erste Erleben eines Konzerts: im
Sommer 1947 auf Verwandtenbesuch hörte er zu-
fällig in Dillheim/Krs.Wetzlar eine von 13(!) Mes-
sias-Aufführungen des Kirchenchors Dillenburg.
Ein Schlüssel-Erlebnis! Gerade in ‚Messias’-Auf-
führungen wirkte er bald und oft an Cembalo oder
Orgel mit, bis er ihn selbst dirigierte, zuletzt 1992
in unserer renovierten Kirche.
    Nun geht er Ende Juni 2003 als Kantor und Or-
ganist in den Ruhestand (nach dann bald 36 Jahren
hier, insgesamt über 48). Der Messias soll letztes
Oratorium seiner Amts-Zeit sein (spätere Gast-Diri-
gate da oder dort nicht auszuschließen ...).
    Als Kantor, der auch lange Lehrer war, wollte er
sich die Freude bereiten, daß die beiden früheren
Schüler, die professionelle Sänger geworden sind,
als Solisten mitwirken: Kalli Patrona und Sebasti-
en Stengel, beide mit stetig sich weitendem Wir-
kungsradius und bei uns bestens eingeführt, als
Sopranistin in Bachs Matthäuspassion, als Altus bei
Cavalieri, Schütz, Bach-Markuspassion u.a.
    Jede Einstudierung und Aufführung eines Orato-
riums ist besondere Freude und Erleben für Ausfüh-
rende, zumal den Chor, wie Hörende, voran Fans
des Chors. Händels ‚Messias’ ist etwas ganz Beson-
deres: große Kunst und doch populär, erhaben-erhe-
bendes Zeugnis christlichen Glaubens und christ-
licher Kultur, für Einzelne wie für die Welt.

Werk-Fassung
    Es gibt keine Messias-,Letzt-Fassung’, sondern
Varianten aus Händels 29 Aufführungen: alterna-
tive Vertonungen desselben Textes, u.a. durch
    - Umbesetzungen für andere Soli oder Chor,
    - Form-Änderungen, z.B. Rezitativ statt Arie,
    - Verkürzungen.
Hier ist auszuwählen, auch individuell (Kürzungen
von 3 auf 2 Stunden sind üblich und angebracht).
Wir kürzen meist um ganze Nummern:
    - 4-6, 25+26, 39, 41, 48+49 (Peters-Ausgabe).
Dreimal wird durch ,Sprünge’ im Stück verkürzt:
    - in der Arie/Duetto Nr. 18a,
    - in den Baß-Arien Nr. 34 u. Nr. 46 im ‚Da-capo’.

Besetzung
    Händels Ausführende waren - modern gespro-
chen - Kammerchor und -Orchester. Bald nach sei-
nem Tod wurden groß besetzte Chöre und Orche-
ster Tradition, mehrere hundert Mitwirkende im Stil
des bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Wir bevorzugen
hier wie überhaupt kleinere Besetzung. In histori-
scher Aufführungspraxis geht es weniger um Schat-
tierungen von Schön-Klang, sondern mehr um ,rhe-
torisches’ Singen und Spielen, d.h. sorgfältigst arti-
kulierte Vermittlung.  





Heinrich-Schütz-Kantorei Frankfurt/M., Leitung: Horst Christoph Diehl

 

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Der Komponist
    Georg Friedrich Händel, geboren in Halle/Saale,
wohl am 23.2.1685 (Taufe 24.2.), sollte als Sohn
eines Arztes und einer Pfarrerstochter nicht
Musikus werden, sondern Jurist, studierte auch Jura,
doch mehr Musik beim Organisten Friedrich
Wilhelm Zachow und war mit 17 bereits selbst
Organist in Halle.
    1703 ging er nach Hamburg, als Geiger und
Cembalist an Reinhard Keisers Oper am Gänse-
markt, der frühsten bürgerlichen Oper (sonst gab es
Hofopern, oder keine, wie in Frankfurt am Main).
    Ein toskanischer Fürst begeisterte ihn für Italien:
1703-10 lernte er die Musikzentren Florenz, Rom,
Neapel, Venedig kennen, die berühmten Meister
Scarlatti, Marcello, Arcangelo Corelli.
    Dank der Erfolge in Venedig wurde er 1710
Hofkapellmeister in Hannover mit wenig Arbeit. So
reiste er wiederholt ohne Urlaub nach London und
war dort sehr erfolgreich (1711 Oper Rinaldo).
    1714 wurde sein Kurfürst Georg von Hannover
englischer König George I. in London, zunächst oh-
ne Händel - bis dieser ihn bei einer Themse-Fahrt
mit prächtiger Musik überraschte (Wassermusik).
    Er gründete 1719 die „Royal Academy“ für
italienische Opern, die er erfolgreich aufführte, bis
1728 John Gay (aus Eitelkeit) in der adelkritischen
Bettleroper mit modischer Musik den italienischen
Stil fast vernichtend ‚traf’. Händel wagte es noch-
mals, doch ihn interessierten ‚Oratorien’:
    Seit 1600 war man in Rom nach der Messe in
den Betsaal neben der Kirche, in’s ‚Oratorium’ ge-
gangen, um ‚moderne Musik’ zu hören. Oratorium-
Musik wurde ‚Oper auf imaginärer Bühne’ (Reclam
Chormusik), ein geistliches Drama, oft Ersatz zu
(Kirchen-)Jahreszeiten, wenn Oper ‚verboten’.
    Händel schuf bis 1741 englische Oratorien so-
wie italienische Opern, dann nur noch Oratorien.
    1729 hatte er seine kranke Mutter in Halle be-
sucht und dort Bachs Ältesten, Wilhelm Friede-
mann kennengelernt. Zu einer von Vater Bach er-
strebten Begegnung kam es indes nicht ...
    Ähnlich wie der gleichaltrige Bach war Händel
im Alter blind. Er hatte mit 52 einen Schlaganfall
mit Lähmung und geistiger Beeinträchtigung, ge-
sundete aber 1738 nach einer Kur in Aachen und
arbeitete eifriger denn je. Händel erlebte Höhen und
Tiefen, gewann aber stets seine Energie zurück.
    1741 schuf er in drei Wochen den Messias und
hatte Erfolg in Dublin/Irland. Doch in London blieb
es schwer, bis zum Judas Makkabäus 1746.
    Händel starb am 14.4.1759. Am Tag zuvor sagte
er: „Ich möchte am Karfreitag sterben, in der Hoff-
nung, mit meinem lieben Gott, meinem gnädigen
Herrn und Heiland am Tage seiner Auferstehung
mich zu vereinen.“ Händels Grabmal in der West-
minster-Abtei zeigt ihn mit Noten in der Hand, dem
Anfang der Messias-Arie: „I know that my re-
deamer liveth. - Ich weiß, daß mein Erlöser lebet.“
 


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Das Werk
    ‚Messias’ heißt auf deutsch ‚der Gesalbte’.
Es ist die griechische Schreibweise von aramäisch
meschicha und hebräisch hammaschiach. Ins Grie-
chische übersetzt heißt ‚Gesalbter’ Christos,
lateinisch Christus, der geläufigste Beiname oder
Titel für Jesus von Nazareth. Jesus (grch. Form von
Jeusa = Josua) bedeutet: ‚Gott rettet, erlöst’;
Immanuel ‚Gott mit uns’. Er selbst bezeichnete sich
- da zunehmend als ‚Sohn Gottes’ erkannt - gern
auch als ‚Menschen-Sohn’.
    Ein ‚Gesalbter’ war im alten Israel ein künftiger
König oder Hoher-/Priester, auf den man wartete
und rechnete. Das Neue Testament versteht Jesus
als Christus. Seine Jünger versuchten, seine frohe
Botschaft, sein Evangelium, in alle Welt zu
bringen.
    Der Librettist Charles Jennens (1700-1773) war
Gutsherr von Gopsall/Leicestershire, Kunstkenner,
Mäzen, Shakespeare-Herausgeber und Dichter, u.a.
von Oratorien-Libretti, z.B. von ‚Saul’ 1735 für den
befreundeten Händel.
    Warum nannte Jennens seine Bibeltexte-Zusam-
menstellung nicht ‚Christus’ (wie später Mendels-
sohn), sondern ‚Messias’?
    Jennens ging es wohl nicht um einen christolo-
gischen Beitrag in dem uralten jüdisch-christlichen
Dialog, ob bzw. daß Jesus doch Mittler gegenüber
Gott und Erlöser von der Sünde der Welt sei. Ihm
ging es um ein Bekenntnis in einer zu seiner Zeit
heftigen Rechtgläubigkeits-Debatte über das Ver-
ständnis Gottes, der Deismus[De-Ismus]-Debatte.
Für etliche aufklärerische Theologen bzw. Philoso-
phen war der Gott des Alten Testaments der ‚ehe-
malige Schöpfer’, nicht jedoch ‚Vater’ des Neuen
Bundes, nicht Vater Jesu, nicht ‚Vater unser’. Hier
wollte wohl der im umfassenden Sinne konservati-
ve anglikanische Christ Charles Jennens den Erweis
bringen, daß Jesus die ‚messianischen Weissagun-
gen’ des Alten Testaments erfüllt habe, also der
erwartete ‚Messias’ sei.
    Vorgetragen werden kaum Berichte über Jesu
Leben (nur in wenigen Secco-Rezitativen), gar
keine Dialoge, sondern vorwiegend jene Prophe-
zeiungen, und zwar durch Einzelstimmen (in Arien
und Accompagnato-Rezitativen, die auch eher arios
sind) sowie durch den Chor.
    Jennens hat die Texte nicht in der Bibel ‚ge-
sucht’, sondern in dem nach dem Kirchenjahr ge-
ordneten ‚Book of Common Prayer’ gefunden und
ein wenig angepaßt, zur Vertonung wie bedeu-
tungsmäßig, z.B. hinsichtlich der Unterscheidung
der Personal-Fürwörter ‚ich’ und ‚wir’.
    So ist das sogenannte Oratorium ‚der Messias
kein solches: die durch Händel vertonte Bibelwor-
te-Zusammenstellung ist kein Drama, nicht einmal
ein episches, in dem Handlung des längeren erzählt
würde, wir haben ‚Teile’ statt ‚Akte’ und
‚Abschnitte’ statt ‚Szenen’. ‚Der Messias’ ist eine
‚indirekte Erzählung’. Nur die Abfolge der
musikalischen Formen Rezitativ, Arie, Chor etc. ist
 

 

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nach Oratorienart, wie auch in barocken Kantaten.
    Ob nun Oratorium oder große Kantate, englisch
Anthem: die Wirkung des Werks ist überwältigend,
wann und wo immer man es ‚erlebt’, singt, spielt,
hört, liest, studiert: wie mit Händel selbst in Dublin
in einem Konzertsaal, in London in einem Theater,
dann in einer Kirche - zugunsten eines Waisenhau-
ses; da denken wir Frankfurter an Telemanns erstes
öffentliches Konzert in einer Kirche: als 1716 das
Waisenhaus für seine Brockes-Passion zu klein
war, öffnete ihm der Rat die Barfüßerkirche, Vor-
gängerin unserer Paulskirche. Musik kann überall
und allzeit Herzen öffnen!

Fachbegriffe der Hör-Hinweise

- Chromatik
Nutzung aller 12 Halbtonschritt-Stufen,
ohne Leitton- und Grundton-Schlußwirkung

- Concerto
Ital. concertare = wettstreiten
Um 1600 (Barock) emanzipierte sich Instru-
mentenspiel aus der Rolle, nur Gesang-Stimmen
mitzuspielen, allenfalls Sänger zu ersetzen. Man
spielte ohne Gesang: Lieder wurden Canzonen,
Mehrchörigkeit zu Sonata, Sinfonia (it.) oder
Symphonia (gr.). Zum Gesang wurden eigens
Instrumentalstimmen komponiert, sogar für bestimmte ...
Zunächst Gruppen-Konzerte: Bläser alternierten
mit Streichern, hohe Gruppen mit tiefen, große
(Concerto grosso) mit kleinen (Concertino)
In Hochbarock/Klassik dann: Einer (Solo) und alle
(Tutti), in Klassik/Romantik: Einer ‚gegen’ alle ...

- Madrigal
Vertonung weltlicher Texte (Liebeslyrik) der
Italiener/Südeuropäer: dramatisch-gegensätzlich;
homophon = eine Hauptstimme mit Begleitstimmen

- Motette
Vertonung geistlicher Worte (vgl. frz. mot), Vers
für Vers; seit Anfängen von Mehrstimmigkeit der
‚Niederländer’ = Nordeuropäer: stilisiert;
polyphon = mehrere gleichberechtigte Stim-
men/Melodien

- Ouvertüre
‚Er-Öffnungs’-Musik: dreiteilig
- Franz.Ouvertüre: langsam-schnell-langsam
(der König schritt gravitätisch ein: punktierter
Rhythmus, statt zwei gleicher Noten eine
verlängerte und eine verkürzte)
- Ital.Ouvertüre: schnell-langsam-schnell

- Pastorale
Musik von Hirten in Rom, 6er-/12er-Takt,
punktierter Rhythmus, ähnlich Siciliano

- Modulation
Fließendes Wechseln in andere Tonarten

- Rhetorische Figuren
Stilmittel der Redekunst
 



 








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Arie und Rezitativ

BEZUG REZITATIV ARIE
Umschreibung Sprech-Gesang Zier-Gesang
Textsorte Prosa Lyrik
Textfunktion berichtend/erzählend betrachtend
Im Drama Dialog Monolog
Verhältnis Text + Musik Viel Text - wenig
Musik
Wenig Text -
viel Musik
Besondere Arten Secco-Rezitativ
> ital. recitativo secco
(= trocken):

Gesang +
(wenige) Akkorde
von Tasten-Instrument
und

(einige) Baßtöne
von Cello, Baß, Fagott
...



Accompagnato-
Rezitativ

> ital. recitativo accompagnato

(= begleitet):

Gesang +
Instrumente/
Orchester
motivisch-melodisch,
z.T. arios

Gesang wie ein Solo-
Instrument-
Part

Arie ein-/mehrteilig,
oft ABA-Form,
Dacapo-Arie:
A = Haupt-
gedanke
(1. Strophe),
B = Seiten-
gedanke
(2. Strophe),
dann steht: ‚da capo
(vom Kopf / von oben)
d.h. Wdh. von Teil A
ggbf. verkürzt o.ä.



Duett/Terzett ...
= Arie für 2, 3 usw. Soli;

‚Chor’ =
Arie für Chor

(Der Chor singt einen
Chor aus
...)
 


Zwei Literatur-Hinweise:

- Paul-Gerhard Nohl:
Geistliche Oratorientexte
Entstehung, Kommentar, Interpretation
(Händel-Messias / Haydn-Schöpfung /
Mendelssohn-Elias / Brahms-Reqiuem)
2001 / Bärenreiter, Kassel

- Hans Joachim Marx:
Händels Oratorien, Oden und Sernaten /
darin: Messiah HWV 59
1998 / Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

 
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