Alte Nikolaikirche am Römerberg
in Frankfurt/M. Sonntag, 13. Mai 2012, 17.00 Uhr Orgelkonzert Christian Baumann, Orgel Karin Baumann,
Gregorianischer Choral
John Stanley (1713-1786) Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) Adagio h-moll KV 540 “Victimae paschali
laudes”, Ostersequenz,
Wipo von Burgund (vor 1048) Heinrich Scheidemann (um 1595 - 1663) Primus Versus Pedaliter - Secundus Versus auf 2
clavir pedaliter - Versus Tertius et Ultimus “Veni
sancte spiritus”, Pfingstsequenz, Stephen Langton (1150-1228) “Veni
creator spiritus”, Pfingsthymnus, Rabanus Maurus (780-856) Charles
Tournemire (1870-1939) Fantaisie – Choral (Veni sancte spiritus, Veni creator
spiritus) aus “L'Orgue Mystique” “O lux beata Trinitas”,
Trinitatishymnus, Hl. Ambrosius (337-397) Michael
Praetorius (1571-1621) “O lux beata Trinitas” aus “Hymnodia Sionia” W.A. Mozart Allegro
in g-moll KV 189i
Martin Luther als Lieddichter und –komponist, das kennen manche so aus dem
Konfirmandenunterricht. Daß aber Luther seine Texte und Melodien in den
seltensten Fällen selbst erfunden hat, das ist schon weniger bekannt! Viele
seiner Lieder sind Umdichtungen mittelalterlicher Weisen. So fußen seine im
Gesangbuch erhaltenen Oster-, Pfingst- und Trinitatislieder auf gregorianischen
Vorlagen. Dem soll Rechnung getragen werden, indem nicht die Lutherchoräle
selbst, sondern ihre gregorianische Urgestalt im Vortrag von Karin Baumann
erklingen. Praetorius
war ein Sohn des lutherischen Pfarrers Michael Schulteis, eines Schülers von
Johann Walter. Nach Schuljahren in Torgau und Zerbst begann er in Frankfurt
(Oder) ein Studium der Theologie und Philosophie. Ohne bis dahin geregelten
Musikunterricht gehabt zu haben, übernahm er 1587 das Organistenamt an der
dortigen Marienkirche. Seit 1592/93 befand er sich nach eigenem Zeugnis in
Wolfenbüttel, wo er bald darauf in den Dienst des Herzogs Heinrich Julius von
Braunschweig-Wolfenbüttel trat. Er wurde Mitglied von dessen Hofkapelle,
zunächst als Organist, seit 1604 als Kapellmeister. Die Entstehung seiner
ersten Kompositionen fällt in die Zeit um 1602/03. Gegenüber
diesen erstaunlich „modernen“ Stücken schließen sich die Werke der mittleren
Schaffenszeit, wie etwa die „Hymnodia Sionia“ eng an die deutsche Tradition der
protestantischen Choralbearbeitung an. Mit ihnen folgte Praetorius der
Aufforderung eines Kreises orthodoxer Lutheraner um die Herzogin Elisabeth. Als der Herzog
1613 starb, war Praetorius am Hof des Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen in
Dresden tätig und trat danach als Leiter von Festmusiken großen Stils in
Erscheinung. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war Praetorius der bedeutendste
Anwalt des aus Italien kommenden konzertierenden Stils in Deutschland. Dem
Dresdner Hof, an dem seit 1615 auch Heinrich Schütz wirkte, blieb er als
„Kapellmeister von Haus aus“ bis zu seinem Tod verbunden. Der Nachwelt
ist Praetorius vor allem als Musikschriftsteller und Theoretiker in Erinnerung
geblieben. Sein Syntagma Musicum ist eine der wichtigsten Quellen für die Musik
der Epochenwende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Die Orgelwerke von Michael Praetorius sind ein
Leckerbissen für jeden Musikwissenschaftler. Insbesondere die Bearbeitung von „O lux beata Trinitas“ greift eine
Kompositionsart aus der Frühzeit der Mehrstimmigkeit, die Organum-Praxis, auf.
In dieser wird die Hauptstimme von mehreren parallel in Quinten und Quarten
(bei Prätorius auch Terzen) verlaufenden Nebenstimmen begleitet. Der Komponist
muss allerdings durch die Art der Stimmführung Satzfehler vermeiden, was
Praetorius in staunenswertem Maße gelingt. Die Orgelwerke selbst hat Praetorius
in nach Sopran, Alt, Tenor und Baß gesonderten Stimmbüchern drucken lassen (zu
seiner Zeit eine der wenigen Möglichkeiten überhaupt, mehrstimmige Musik zu
publizieren), so daß der Organist, um diese Werke spielen zu können, zunächst
die Einzelstimmen wieder zu einer Partitur zusammenfügen mußte. Der Hymnus „O
lux beata Trinitas“ wurde von Luther als „Der du bist drei in Einigkeit“
eingedeutscht. Der erste
Musikunterricht wurde Heinrich
Scheidemann durch seinen Vater David Scheidemann, welcher Organist an der
Hamburger Katharinenkirche war, zuteil. Von 1611 bis 1614 nahm er ein
dreijähriges Studium bei dem seinerzeit sehr bedeutenden Organisten Jan
Pieterszoon Sweelinck in Amsterdam auf, welches ihm durch die Gemeinde der
Katharinenkirche finanziert wurde. Im Jahre 1629 trat Heinrich Scheidemann die
Nachfolge seines Vaters im Amt des Organisten an der Hamburger Kirche St.
Katharinen an. Dieses Amt bekleidete er bis zu seinem Tode. Scheidemann
erlangte durch sein Wirken und seinen Einfluss auf andere Organisten und
Kantoren ein hohes Ansehen im Musikleben Hamburgs und galt als herausragender
Orgelmeister. Er prüfte außerdem zahlreiche Orgeln im norddeutschen Raum. Als
sein bedeutendster Schüler gilt Johann Adam Reincken, der nach Scheidemanns Tod
dessen Nachfolger an St. Katharinen wurde. Heinrich
Scheidemann wird als Mitbegründer der Norddeutschen Orgelschule angesehen, die
den Stil Sweelincks mit der norddeutschen Barocktradition verband, und gilt als
der bedeutendste Komponist für Orgelwerke des frühen 17. Jahrhunderts. Seine
Bearbeitung des Osterliedes „Christ lag
in Todesbanden“ folgt einem damals üblichen Schema: Auf einen motettischen
Satz mit c.f. (cantus firmus) im Pedal folgt eine Variation mit coloriertem
(verziertem) c.f. im Sopran und darauf ein Bicinium (zweistimmige Bearbeitung).
Im Laufe der Variationenfolge wird die traditionelle vokale Bearbeitungsart immer
mehr zugunsten einer virtuosen und instrumentengerechteren aufgegeben. Das Werk des an
der Schwelle vom 19. zum 20. Jh. stehenden Komponisten Charles Tournemire (1870-1939) steht zwischen dem Schaffen zweier
Generationen, für die hier stellvertretend sein Lehrer und Vorgänger an der
Orgel von Sainte-Clotilde, Cèsar Franck, und Olivier Messiaen genannt seien.
Seine Ausbildung am Pariser Conservatoire bei Cèsar Franck hat einen
unverkennbaren Niederschlag insbesondere in der Harmonik und der Vorliebe für
bestimmte Kompositionsformen, wie z.B. den Choral, gefunden. Von Duruflé als
geistvoller, jovialer und überschwenglicher Mensch beschrieben, „dessen
Wesen sich ohne Übergang von der Sanftmut zur Raserei wandeln konnte“, galt
Tournemire als kompromißloser Verfechter seiner künstlerischen Ideale. Typisch
für Tournemire ist eine Äußerung, in der er „alle Musik, die nicht die
Verherrlichung Gottes zum Ziel hat“, kategorisch als „nutzlos“
bezeichnete. Die Aufgabe des Organisten sah er in der musikalischen Auslegung
eines jeden von den liturgischen Texten und den Gregorianischen Gesängen
bestimmten Tages. Tournemire, der der Improvisation den ersten Rang einräumte,
beschloß viele Messen in der tiefen Versunkenheit einer „douceur de l'extase“,
anstatt das Getöse der aus der Kirche stürmenden Menschen mit einer virtuosen
„Tour de force“ zu übertönen. Auch das heute erklingende Finale endet in
tiefster mystischer Versenkung. Vor diesem
Hintergrund ist die Entstehung von Tournemires Magnum Opus L'Orgue Mystique zu
sehen. Das in seinen Dimensionen riesenhafte Werk (insgesamt 253 Einzelstücke)
wurde von 1927-1932 komponiert und besteht aus 51 Offizien. Vor der Komposition
betrieb Tournemire umfangreiche liturgische und musikalische Studien und legte
neben der Verwendung der Gregorianischen Themen Form, ungefähre Dauer und
Registrierung eines jeden Stückes fest. Daneben war er häufig in der Abtei von
Solesmes zu Gast, die eng mit der Wiederentdeckung des Gregorianischen Chorals
verbunden ist. Tournemire verwendet die Gregorianik in L'Orgue Mystique
nicht nur als thematische, sondern auch deren modales System als harmonische
Grundlage. Hier unterscheidet er sich von vielen anderen Komponisten seiner
Zeit, die den Gregorianischen Choral oft in ein tonales Korsett zwängen. Neben
den traditionellen Kirchentonarten, verwendet Tournemire ebenso eigene und
zuweilen auch Hindu-Modi. Die freie Verwendung von Dissonanzen und die oft
ungebundene, einem Taktschema zuwiderlaufende Rhythmik sind typisch für
Tournemires Stil. Seine musikalische Sprache zeichnet sich zum einen durch die
Aufnahme und Weiterentwicklung traditioneller Elemente aus, die sich mit
impressionistischen Einflüssen verbinden. Sie bezieht zum andern auch
klangliche und harmonische Neuerungen mit ein, die schon auf Messiaen
verweisen. In dem heute erklingenden Finale zur Pfingstsonntagsmesse verarbeitet Tournemire die Sequenz „Veni sancte spiritus“, den Hymnus John Stanley erblindete nach einem Unfall im Alter von 2 Jahren. Er studierte
Musik bei Maurice Greene und hatte einige Organistenstellen in London inne. Er
war mit Georg Friedrich Händel befreundet und führte nach Händels Tod dessen
Oratorien gemeinsam mit John Christopher Smith und später mit Thomas Linley
auf. 1779 trat er die Nachfolge von William Boyce als "Master of the
King's Musick" an. In der Zeit
nach der Stuart-Restauration (1660) bildete sich in England mit den Voluntaries ein standardisierter
Orgelkompositionstyp für Konzert und Liturgie heraus. Diese Voluntaries sind
meist zweiteilig: Auf eine langsame Einleitung folgt ein schneller Satz, ein virtuoses Kornett- oder Trompetensolo
oder eine Plenumfuge. Die oft dreimanualigen Orgeln erlaubten ein klanglich
raffiniertes Echospiel der Soloregister zur Begleitung des dritten Manuals.
Auch unser heutiges Voluntary bringt ein Echospiel zweier Kornettstimmen. Die
Begleitstimme wird zusammen mit dem Cornettregister auf dem Hauptwerk gespielt.
Da das Hauptwerkskornett in der Baßregion nicht ausgebaut ist, ergibt sich aber
der Eindruck von Dreimanualigkeit. Von Mozart gibt es nur wenige
Orgelkompositionen und einige Kirchensonaten mit Orgelbeteiligung. Daher liegt
es nahe, auch seine Klavierstücke für die Orgel verfügbar zu machen. Es wurden
die Stücke ausgewählt, die wegen ihrer dynamischen Kontraste für eine
mehrmanualige Orgel am geeignetsten erschienen. Das Allegro in g-moll stammt
wohl noch aus seiner Salzburger Zeit. Dagegen wurde das als Sonatensatz
angelegte Adagio in h-Moll am 19. März 1788 komponiert, aber erst 1796 postum
veröffentlicht. Das einfache Hauptthema hat schmerzvollen Charakter und wird
anfangs mit dissonanten Akzenten belastet. Die punktierten Rhythmen erinnern an
einen Trauermarsch. Den Fortgang bilden Seufzermotive über monoton pochenden
Sechzehnteln sowie Modulationen in entfernte Tonarten. Eine Coda lichtet das
h-Moll zum milden H-Dur. Dieses Wechselspiel der Tongeschlechter weist auf Schubert
voraus. Bachs Präludium und Fuge in a-moll ist eines der wenigen
Werke, in denen das Satzpaar derart motivisch aufeinander bezogen ist. Das
kurze Präludium macht einen eher improvisatorischen Eindruck, zehrt aber von der inneren Spannung, die der
einstimmige, aus Dreiklangsbrechungen und chromatischen Gängen gebildete Beginn
exponiert. Diese Spannungen werden erst in der ausgedehnten Fuge gelöst. In
dieser ist das nun diatonisch gewendete
Thema des Präludiums mit seinen Quintfallsequenzen in fast jedem Takt
gegenwärtig. Karin Baumann, geboren 1964 in Frankfurt am Main, studierte
Musik und Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am
Main, Chorleiterausbildung im Bistum Limburg, Gesangsstudium unter anderem bei
Annedore Reichwein-Hahn und Gundula Bernat-Klein, war jahrelang Mitglied in
Chören, die für den Hessischen Rundfunk arbeiteten, in der
Heinrich-Schütz-Kantorei und im Vokalensemble "Concerto Vocale
Frankfurt". Sie ist Leiterin weiterer Chöre. Christian Baumann, geboren 1962 in Hanau, studierte Physik und
Chemie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sein
Studium schloss er 1992 mit einer Promotion auf dem Gebiet der experimentellen
und theoretischen Thermodynamik ab. Ersten
Klavier- und Orgelunterricht erhielt er im Alter von 8 Jahren bei Ernst-Günter
Heinemann (jetzt Lektor am Henle-Verlag). Weitere musikalische Ausbildung bei
Margret Maier und zwischen 1986 und 1989 am Hoch´schen Konservatorium bei
Otto-Jürgen Burba. Vielfältige Konzerte als Solist und Begleiter in
Deutschland, Spanien und Italien. Seit
2003 ist er zusammen mit seiner Frau Karin Kirchenmusiker an der Alten
Nikolaikirche am Frankfurter Römerberg. (Christian Baumann, 5.5.2012) |
Ev.-luth.
St.Paulsgemeinde Frankfurt/M.
Römerberg 9, 60311 Frankfurt/M.
www.MusikAltNikolai.de;
E-Mail: info@paulsgemeinde.de
Pfarrerin
Andrea Braunberger-Myers
Kantorin: Karin Baumann /
Organist: Dr. Christian Baumann
Spenden-Konto
‚Freundeskreis Musik Alte Nikolaikirche'
Nr. 22 555 -
604 /
BLZ 500 100 60 Postbank Ffm.
(Internet-Umsetzung: Diethelm Paulussen, Online: 6.5.2012, Stand: 6.5.2012
Textur (= Hintergrund): Textures Unlimited