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Bach: Weihnachtsoratorium



Musik in der
Alten Nikolaikirche am Römerberg
in Frankfurt am Main
2002




 



Johann Sebastian Bach


Weihnachtsoratorium


Teile I - III



Programmheft
(Internet-Fassung)



 





Hirten an der Krippe, 1569

Hirten an der Krippe
(Aus dem Frankfurter Gesangbuch des Johannes Wolff von 1569)



 


 

Gestaltung: Horst Christoph Diehl


 

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Alte Nikolaikirche am Römerberg in Frankfurt/M.

Mittwoch, 27. November 2002, 20.15-21.45 Uhr
Öffentliche Generalprobe

Donnerstag, 28. November 2002, 20.15-21.45 Uhr
Konzert

Begrüßung: Beate Schwartz-Simon
Vorsitzende des Kirchenvorstandes
der Ev.-luth. St.Paulsgemeinde Frankfurt/M.

Grußwort: Bürgermeister i.R. Dr. Hans-Jürgen Moog
Schirmherr des Freundeskreises
‚Musik in der Alten Nikolaikirche am Römerberg in Frankfurt/M.’


Johann Sebastian Bach
1685-1750


Weihnachts-Oratorium
Teile I-III

Leipzig - 1734 / Bach-Werke-Verzeichnis BWV 248


Bettina Weber, Sopran

Yvonne Hettegger, Alt

Jens Weiß, Tenor

Markus Flaig, Bass


Barock-Ensemble Le goût étranger
auf historischen Instrumenten
Soli
Tromba: Paolo Bacchin, Nicholas Althouse, Christoph Dräger
Pauken: Harald Buchta
Traversflöte: Ite Sonder, Marion Hofmockel
Oboe / Oboe d’amore: Annette Spehr, Jeanine Krause
Oboe / Oboe da caccia: Susanne Kohnen, Linda Leighton
Violine: Katrin Ebert; Violoncello: Roswitha Bruggaier
Cembalo: Diez Eichler

Heinrich-Schütz-Kantorei Frankfurt/M.

Leitung: Horst Christoph Diehl



Festkonzert
35  Jahre    Horst Christoph Diehl an Alt-Nikolai
30  Jahre    ‚Heinrich-Schütz-Kantorei Frankfurt/M.’
15  Jahre    ‚Freundeskreis Musik in der Alten Nikolaikirche’


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Weihnachts-Zeit ohne Bachs Weihnachts-Oratorium?
Undenkbar, weltweit: dies Werk gehört sozusagen zum
beliebtesten aller Christusfeste dazu. Mancher begehrt
Luxus-Interpretationen in Konzertsälen, viele ‚erleben’
lieber Aufführungen in Kirchen. Und Chöre samt Profis
führen es gerne auf ...

Bach ahnte den späteren Erfolg nicht, er schuf es für
seine Leipziger Gottesdienste vom 1. Christtag bis Epi-
phanias/Dreikönig 1734/35 als ‚Kantaten’, wie sie da-
mals zur ‚Betrachtung’ des Gehörten üblich waren (auch
in Frankfurt bei Telemann und König). Da er die sechs je
zu betrachtenden Evangelien als fortlaufende Handlung
sah, nannte er den Zyklus ‚Oratorium’ (mit 6 ‚Teilen’,
nicht ‚Kantaten’).

J.S.Bach tat alle Arbeit zur Ehre Gottes, schrieb über
jede Komposition: Soli Deo Gloria, und sorgte stets für
bestmögliche Musik. Das schloß ein, zu vorhandenen
Kompositionen (die ihm als Gratulations-Musik zu nur
einmaliger Verwendung zu schade erschienen) neue
Texte ähnlicher Ausdrucks-Intensität zu schreiben und
zu unterlegen, statt ‚weltlich’ nun geistlich (bei Bach nie
umgekehrt). Dies ‚Parodieverfahren’ war weit verbreitet.
So wurde aus „Tönet, ihr Pauken“ (zu Ehren des säch-
sischen Kurfürsten; Kantate 214/1) das „Jauchzet froh-
locket“, und aus „Ich will dich nicht hören“ (in einer
Allegorie auf den jungen Prinzen, der Lockungen wider-
steht; Kantate 213/9) das „Bereite dich Zion“.

Viele Hörende sind irritiert, daß Musik, die ihnen
unverwechselbar komponiert schien, zu verschiedenen
Texten passen soll? Beim Strophenlied ja, aber in einer
Arie? Also auch bei Bach Meterware, Konfektions-
größen? Ruhiges Vergleichen hilft: man denke an
Kunsthandwerk oder an Blumen, welche zu fröhlicher
Festlichkeit passen wie zum Trösten von Traurigen. Ein
Schüler, etwa 17, hat es einmal beim Vergleich von „Ich
will dich nicht hören“ und „Bereite dich Zion“ m.E.
ungemein gut auf den Punkt gebracht: Beide Texte
schildern ganz extreme Gefühlslagen, hier schroffste
Ablehnung, dort innigstes Sehnen. Insofern kann Bach
auf dasselbe Motiv das eine Mal „ich will nicht, ich mag
nicht“ und das andere Mal „den Schönsten, den
Liebsten“ singen lassen
.’

Als Text-Dichter wird Bachs Poet Picander in Zusam-
menwirken mit ihm vermutet - oder umgekehrt. Oder
war es Bach alleine ... ?

Die ‚Heinrich-Schütz-Kantorei Frankfurt/M.’ hat gele-
gentlich einzelne Teile des ‚WO’ aufgeführt, 1989 auch
einmal alle sechs ungekürzt. Nun also ‚I bis III’ als ein
Festkonzert anläßlich dreier Jubiläen: mit Pauken und
Trompeten in unserer von vielen so besonders geliebten
kleinen Alten Nikolaikirche am Römerberg, wo man sich
so ‚ganz nah dabei’ und wie ‚persönlich angesprochen’
fühlt, selbst Bekanntestes ‚geradezu neu erlebt’.


INHALT
04 Einführung:
06 TEXT mit Hörhinweisen
10 Termin-Wahl: Weihnachten ohne Advent?
11 Geld: Finanzierung großer Kirchenmusik?
 

 

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Zum Werk

Oratorium ist ‚Oper auf imaginärer Bühne’, entstanden
wie diese um 1600 in Italien: außer in die Kirche ging
man in den Betsaal nebenan, ins Oratorium, zum Hören
von Dichtung und Musik, zunächst zusammengestellt,
bald eigens verfaßt. Gebäudebegriff wurde Veranstal-
tungs-Bezeichnung: Man ging ins Oratorium. Wir erin-
nern an unsere Aufführungen des ‚frühsten’ Oratoriums,
Cavalieris Rappresentazione (1968; 1998 halbszenisch).

Bachs große Werke (Passionen, Oratorien, Kantaten)
werden durch drei Text-Sorten geprägt:
1. Bibel-Wort, 1. Jh. - objektiver Bericht
2. Dichtung, 18. Jh. - subjektives Empfinden Einzelner
3. Kirchenlied, 16.-18.Jh. - Glaubenszeugnisse vieler

Dialog im Drama
      ist in Oper/Oratorium Rezitativ, Sprechgesang,
Monolog ist
      Arie als Ziergesang für Einzelne bzw. für Chor, dies
Chor genannt: der ‚Chor’ singt einen ‚Chor’
(Besetzung als Formtitel; vgl. Concerto grosso),
oder ein (Strophen-)Lied.

Den Bibel-Bericht des ‚Evangelisten’ singt der Tenor
(Stil recitativo secco, d.h. ‚trocken’, da kaum begleitet
von Cembalo oder Orgel); wörtliche Reden in verteilten
Rollen. Oft individuelle Ausdeutung!

Betrachtungen’ sind Eingangs- und Schluß-Chöre,
Accompagnato-Recitative (Rezitativ-Stil, aber begleitet
von Melodie-Instrumenten, quasi arioso) sowie Arien.
Einzelstimmen oft als ‚Rollen’, etwa Jesus und Jünger,
oder allegorische Figuren wie Glaube und Zweifel.
Die Choräle, d.h. Lieder der Kirche, verstärken dies.
‚Kontemplation’ ist Einstimmung, Innehalten, Zusam-
menfassen, wie Bilder, Kreuzwegstationen u.a.

Bachs Weihnachts-Oratorium hat keine festen Rollen.
Verlangt man, ‚Oratorium’ müsse Handlung bieten, so
sehe man es stilisiert, episch (wie Händels Messias). Die
Altstimme empfindet man in Nr.3/4 als Tochter Zion,
Braut des erwarteten Messias, doch in Nr.31 als Mutter
Maria. Tenor (in Nr.15), Sopran (soweit nicht Engel),
Baß, Chor könnten Hirten sein. Doch sie alle sind
zugleich und vielleicht noch mehr ‚Glaubende’, als
Individuen wie als Gemeinschaft, für Bach in seiner
Gemeinde, für uns in unserer: alle, die sich Gedanken
machen, sich fragen, Gott fragen, Anteilnahme zeigen,
danken und loben, alles als Beispiel und somit auch als
Zuspruch.

Bachs Weihnachts-Oratorium ist vielschichtig. Auch wer
es lange und gut zu kennen meint (der Leiter dieser
Aufführung hat sogar ein Regie-Konzept ...), entdeckt
immer wieder Interessantes und Wunderbares, wie bei
allem wahrhaft Großen!

Verstehen wir die heutige Aufführung einmal vor
allem als große ‚Hirtenmusik’, als Hirten-Spiel:
Hirten auf dem Weg zur Krippe nach Bethlehem,
wohlwissend, daß der Weg weiter geht, nach
Golgatha und endlich zum himmlischen Jerusalem!
 


- 5 -

Zur Interpretation

Für die Interpretation ‚Alter Musik’ bevorzugen heute
viele Interpretierende wie Hörende statt großen philhar-
monischen Aufführungs-Apparats des 19./20. Jahrhun-
derts, wie ihn viele schätzen und lieben, die sogenannte
Historische Aufführungspraxis: kleine Ensembles, ‚alte’
Instrumente, Kirchenmusik mit Knaben, Soli wie Chor.

Beträchtliche Unterschiede gibt es da, wie bei Sprache
und Sprechen: Für das Singen und Spielen barocker Me-
lodien, ihrer vielgestaltigen Motive, die vielen Stufen
zwischen - wie wir gern sagen - gestischem Singen (rhe-
torisch phrasiert, artikuliert) und unendlicher Melodie,
ist spezielles Einfühlungsvermögen gut, Kenntnis der
alten Rhetorik, der Theorie der Redekunst, noch besser!

(Ver-)Urteilen sollte man nicht! Auch auf ‚modernen’
Instrumenten gelingt es, barocker Klangrede zu ent-
sprechen, und die ‚historische Szene’ ist nicht gefeit vor
Klang pur, sprich: nur Sound. Musik wirkt unterschied-
lichst, und Bach hält alles aus, behält sogar ‚verfremdet’
seine unverwechselbaren Qualitäten.

Unsere Einstudierung sucht wichtigsten Regeln barok-
ker Aufführungspraxis zu entsprechen:
-   ‚rhetorisch’ sprechende Phrasierung,
deklamierend atmendes Gliedern
von Text- und Melodie-Phrasen,
-   ‚gestische’ Artikulation,
barockes Betonen oder Kürzen von Tönen u.ä.,
-   dies in allen Vokal- und Instrumental-Parts,
-   bei fließenden bis zügigen Tempi,
-   zwar statt Knaben- Frauen- und Männerstimmen,
solistisch wie als moderner gemischter Chor,
-   aber mit ‚historischen’ Instrumenten
(tiefere Stimmung, besondere Maße und Bohrungen,
Darm-Saiten, Kurzbogen u.a.),
-   schließlich in unserer kleinen Kirche
auch die Streicher in kleiner Besetzung.

Noten-Material: Neue Bach-Ausgabe (Bärenreiter)
unter Mitbenutzung von Editionen anderer Verlage

Kürzungen in zwei ‚langen’ Arien: ‚verkürztes Dacapo,
wie öfters von Bach so komponiert (Sprünge in der
Schlafe-Arie Nr.19/T.49-72, im Duett Nr.29/T.31-77).

Unsere Hörhinweise: stichwortartig beim Gesangs-
Text, nicht vorn oder hinten im Programm ausformuliert,
schnell zu lesen und (hoffentlich!) hörend umzusetzen.

- Informationen: Besetzungen (Bc. = Basso continuo: durch-
gehender Generalbaß in Cello/Baß mit Harmonien im Tasteninstrument)
- Charakteristika unserer Interpretation
- Unterstreichungs-Hinweise auf einzelne Wörter,
die hörbar sinnfällig vertont scheinen, symbolisch/lautmalerisch:
durch Auf- oder Abwärts-Melodik, Verzierungen, Erwartetes oder
Überraschendes in Melodie, Harmonie, Takt, Rhythmus u.ä.

 
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